Wahrnehmung
20. Dezember 2015Sendung im Hessenfernsehen über Erektionsstörungen
24. September 2019Wenn das Paar oder die Beratungssituation als System betrachtet wird, gibt es unzählige Möglichkeiten, auf dieses System einzuwirken. Ich habe mich für die Sprache entschieden, wohl wissend, dass Sprache nur eine Möglichkeit ist und dass es Menschen gibt, die durch Sprache schwieriger erreichbar sind als andere. Vielleicht sind für manche Menschen andere Therapieformen besser geeignet (Musik, Körperarbeit, Tanz, Malen etc).
Der Therapieablauf ist meist so konzipiert, dass nach einem ersten Kennenlernen alle Beteiligten (auch ich) die Möglichkeit haben, sich etwas Zeit zu nehmen und zu überlegen, ob sie dieser Zusammenarbeit eine gute Chance geben möchten und können, um gemeinsam gewünschte Veränderungen herbeizuführen. Alle Anwesenden sollen sich bei den Sitzungen wohl fühlen, auch wenn es durchaus schwierige Zeiten und unangenehme Konfrontationen geben kann. Ich möchte das Gefühl haben, die Menschen sind bereit etwas zu verändern und gehen engagiert an den Prozess heran. Die Klienten sollten fachlich und menschlich Vertrauen zu mir und in meine Arbeitsweise haben.
Wenn insofern Einigkeit bei allen hinsichtlich einer weiteren Zusammenarbeit besteht, lade ich jeden der Partner zu mindestens einem Einzel-Gespräch ein. Damit habe ich bisher nahezu jedes Mal sehr gute Erfahrungen gemacht. Bei diesem Einzelgespräch ist es wichtig, dass ich keine Geheimnisse erfahre, die in den folgenden Gesprächen mit dem Partner nicht zur Sprache kommen dürfen. Ein solches von mir mit einem Partner geteiltes Geheimnis würde meine Arbeit deutlich erschweren, weil ich mich ständig kontrollieren müsste, damit mir keine Informationen darüber „rausrutschen“. Daher spreche ich dieses Thema auch bei jedem Erstgespräch mit beiden Partnern an. Der Sinn dieser Einzelgespräche liegt darin, den Einzelnen ein klein wenig ohne den Partner kennenzulernen. Mir ist bewusst, dass ich auch in hunderten solcher Einzeltermine nicht annähernd alles von diesem Menschen erfahren könnte, aber ich bekomme einen Eindruck und vor allem auch ein Gefühl für diesen Menschen: Wo kommt der Mensch her? Wie ist er aufgewachsen? Welche Schicksalsschläge hat er hinter sich und welche Erfolge hat er erlebt? Auf was ist er stolz, wofür schämt er sich möglicherweise?
Bei dem anschließenden Paargespräch geht es dann – wie bei jedem Paargespräch – um die Auftragsklärung für die aktuelle Sitzung. „Was wäre heute für Sie wichtig? Wie kann ich Ihnen möglicherweise helfen?“ Dies muss immer wieder von Neuem erörtert werden, weil sich Ziele während der Therapie verändern können und ja auch sollen und nur so merke ich, wenn ein Ziel wirklich erreicht wurde und die Therapie erfolgreich dem Ende entgegengeht.
Meistens erkläre ich im Anschluss daran eine bestimmte Technik einer Übung, wie Paare einmal in der Woche miteinander sprechen sollten. Die, diesen Gesprächen zugrunde liegende Idee und die Vorgehensweise wird von mir erläutert. Daran anschließend führen die Partner ein solches Gespräch zum ersten Mal in meiner Gegenwart. Sollten mir während des Gesprächs Muster auffallen, die das Problem verstärken, teile ich dies dem Paar mit. Es kann auch eine Art Übersetzung des Gesagten stattfinden, in Formulierungen, die das Gesagte ebenfalls zum Ausdruck bringen aber ohne Beschuldigungen und (unnötige) Verletzungen des anderen auskommen.
Das Paar lernt während der Sitzung die Technik und Regeln dieser Gespräche kennen und kann spüren, ob diese Methode für sie passend erscheint. Sollte dies der Fall sein, wird optimalerweise schon der nächste Termin vereinbart. Das Paar wird dieses Gespräch dann allein zu Hause ohne Therapeuten durchführen. Beide Partner sollten an dieser Stelle bereit sein, sich auf ein dreimonatiges Experiment einzulassen, unter Einsatz einer halben bis einer Stunde wöchentlich für ein solch besonderes Gespräch.
Diese wöchentlichen Übungen sind sozusagen das Rückgrat der Therapie und nehmen nur einen kleinen Teil der Wochenzeit (ein Prozent) ein, sind jedoch in meinen Augen sehr wirkungsvoll. Das Paar führt die Gespräche und notiert sich Fragen an mich oder Beobachtungen, die wir dann nach etwa drei bis vier Wochen (d.h. nach etwa drei bis vier Gesprächen) in der nächsten Sitzung besprechen können.
Der Hintergrund und die Idee dieser Gespräche sind, dass wir uns im Allgemeinen in unseren Gesprächen – auch in denen mit unserem Partner – nur sehr an der Oberfläche befinden. Die Art dieser besonderen Gespräche macht es – im Gegensatz dazu – meines Erachtens fast unmöglich, nicht in die Tiefe zu gehen. Schätzungen zufolge sind 90 % unserer Handlungen und Gesprächsinhalte unbewusst. Diese Gespräche fördern die Bewusstmachung und geben Antwort oder zumindest Hypothesen auf Fragen wie: „Warum verhalte ich mich manchmal so und nicht anders? Warum schmerzt mich das jetzt so? Warum habe ich das neulich gesagt? Wieso habe ich damit meinen Partner so verletzt? Welches frühere Thema wird dadurch berührt? Was könnte dadurch geheilt werden?“
Wenn die Gespräche ihre Wirkung erzielen, werden die Teilnehmer nicht nur den Partner besser kennenlernen, sondern auch sich selbst. Ein besseres Kennen zieht oft ein leichteres Vergeben oder auch einfach einen leichteren Perspektivwechsel nach sich. Plötzlich ist das Verhalten des anderen nachvollziehbar und wird nicht mehr als feindliche egoistische Handlung eingeschätzt, gegen die ich mich behaupten muss. Oft erkennt man, dass die Empfindlichkeiten einen lange zurückliegenden Ursprung aus früheren Beziehungen haben und der Partner nur etwas angestoßen hat, was sowieso schon da war. Wenn ich mich selbst ein bisschen besser verstehe, gelingt es mir oftmals auch leichter, mir selbst zu vergeben und vielleicht die eine oder andere Gewohnheit leichter aufzugeben.